Fristversäumnis bei Antragsbearbeitung: Pflegekasse muss Schadensersatz zahlen

Wer einen Antrag auf Pflegeleistungen stellt, der hat einen Anspruch darauf, dass er spätestens innerhalb von 25 Arbeitstagen einen Bescheid erhält. Versäumt die Pflegekasse diese Bearbeitungsfrist, dann muss sie für jede begonnene Woche der Fristüberschreitung unverzüglich 70 Euro an den Antragsteller zahlen. In manchen Fällen ist die Frist sogar noch kürzer als 25 Arbeitstage. Auf der anderen Seite trifft die Kasse keine Zahlungspflicht, wenn sie die Verzögerung nicht zu vertreten hat. Oder wenn sich der Antragsteller in vollstationärer Pflege befindet und bei ihm bereits mindestens Pflegegrad 2 festgestellt ist. Das alles steht in § 18 Abs. 3b Sozialgesetzbuch XI (SGB XI).

Nun hat das Sozialgericht Speyer darüber entschieden, was zu tun ist, wenn die Kasse die Frist versäumt hat. In dem zugrundeliegenden Fall hatte ein Versicherter sogleich Klage auf Schadensersatz erhoben. Diese hat das Gericht aber als unzulässig abgewiesen. Der Versicherte hätte zunächst den Schadensersatz bei der Kasse geltend machen müssen. Das weitere Vorgehen: Wird der Antrag abgelehnt, dann ist Widerspruch einzulegen. Erst wenn auch dieser abgelehnt wird, ist der Klageweg zum Gericht eröffnet.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Speyer datiert vom 13. April 2023 (Az. S 9 P 164/22) und ist zurzeit noch nicht rechtskräftig.

Gestern gegen eine Krankenkasse vor dem Landessozialgericht: „Eine Schande!“

RA Thorsten Siefarth - LogoEs geht um einen Rollstuhl mit Motorantrieb. Wir hatten in der ersten Instanz vor dem Sozialgericht München gewonnen. Die Techniker Krankenkasse (TKK) legte Berufung ein. Also findet gestern eine Verhandlung vor dem Bayerischen Landessozialgericht statt. Eine dreiviertel Stunde lang wird ein Vergleich ausgelotet. Der kommt letztlich jedoch nicht zustande. Also soll die Vertreterin der TKK ihren Antrag formulieren. Sie stammelt etwas, das allenfalls als Rechtsauffassung durchgehen könnte. Ihr wird Gelegenheit gegeben, ihren Vorgesetzten per Telefon einzuschalten. Aber auch das hilft nichts: Was nach mehreren Anläufen formuliert wird, ist unzulässig. Die Berufung der TKK wird deswegen abgewiesen! Schlicht, weil die Kassenvertreterin einen simplen Antrag nicht formuliert kann. Unfassbar. Nach dem Urteil gibt es vom Vorsitzenden ein Donnerwetter, das sich gewaschen hat: „Eine Missachtung des Gerichts!“, „Eine Schande für die Versichertengemeinschaft!“. Von einer Verhängung der angedrohten Missbrauchsgebühr wird zwar abgesehen. Aber das Wort „Schande“ – es fällt etliche Male – klingt noch jetzt in meinen Ohren …

Kasse trödelt und muss zahlen – in diesem Fall dann aber doch nicht!

RA Thorsten Siefarth - LogoEin etwas skurriler Fall: Eine Frau will Leistungen von ihrer Krankenkasse und stellt einen Antrag. Soweit nichts Ungewöhnliches. Allerdings hat sie den Antrag bei einem deutschen Konsulat an ihrem Urlaubsort auf der britischen Insel Jersey eingeworfen. Das ist grundsätzlich sogar möglich (siehe § 16 SGB I). Nun gibt es allerdings Bearbeitungsfristen für die Kassen (siehe § 13 Abs. 3a SGB V). Hält eine Kasse diese nicht ein, so ist sie per Gesetz verpflichtet, die Leistung zu gewähren. In einem gerichtlichen Eilverfahren hat die Frau aber erst einmal nicht Recht bekommen. Die Richter waren der Ansicht, dass dieses Vorgehen an Rechtsmissbrauch grenze. Denn die Frau hatte gegen den bereits zuvor gestellten, gleichlautenden und abgelehnten Antrag Widerspruch eingelegt. Über diesen war aber noch nicht entschieden worden. Die Richter ließen es der Frau also nicht durchgehen, die Kassenleistung quasi „auf der Überholspur“ einzusammeln (Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 30.8.2018, Az. L 16 KR 362/18 B ER)

Antrag auf Sozialleistung zurückgenkommen – Sozialamt muss dennoch zahlen!

RA Thorsten Siefarth - LogoDie Ehefrau beantragt für ihren pflegebedürftigen Ehemann Sozialhilfe. Später zieht sie den Antrag schriftlich zurück. Ihr Schwiegersohn sei ein „hohes Tier“, er übernehme die Kosten der Pflege. Ist das dann aber nicht passiert, so muss das Sozialamt dennoch später die Kosten übernehmen. Das hat Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in einem aktuell veröffentlichten Urteil entschieden (15.3.2018, Az. L 9 SO 344/16). Begründung: Wenn das Sozialamt von der Bedürftigkeit einer Person erfährt (dafür ist noch nicht einmal ein Antrag notwendig), dann muss es sich kümmern. Und zwar auch darum, ob die Kosten der Pflege tatsächlich übernommen werden. Es darf sich also nicht darauf verlassen, dass – hier noch nicht einmal der Leistungsberechtigte selbst – seinen Antrag „zurücknimmt“. Denkbar wäre allenfalls eine Verzicht, wenn nämlich der Leistungsberechtigten „trotz Vorliegen aller Anspruchsvoraussetzungen unter keinen Umständen eine (staatliche) Sozialleistung gewährt werden soll“. Das war hier aber nicht der Fall. Deswegen: Liegen die Voraussetzungen für eine Sozialleistung vor, dann muss das Sozialamt diese auch nach Zurückziehen eines Antrags übernehmen.

Antrag auf Pflegeleistungen: Frist wieder 25 Tage

RA Thorsten Siefarth - LogoPflegekassen müssen den gesetzlich versicherten Pflegebedürftigen seit Anfang des Jahres wieder innerhalb von 25 Arbeitstagen mitteilen, wie sie über ihren Antrag auf Pflegeleistungen entschieden haben. Darauf weist die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz hin. In besonders eiligen Fällen muss es sogar noch schneller gehen. Aufgrund der Umstellungen durch die Pflegereform war diese Frist im vergangenen Jahr grundsätzlich ausgesetzt. Jetzt gilt wieder: Erfolgt der Bescheid der Pflegekasse nicht innerhalb der 25-Tage-Frist und ist die Kasse für die Verzögerung verantwortlich, dann muss sie für jede Woche nach Fristablauf 70 Euro an den Antragsteller zahlen. Dies gilt nicht, wenn der Versicherte im Pflegeheim lebt und bereits mindestens Pflegegrad 2 hat.

Antrag auf eine Pflegestufe: Ab 1. November kann es länger dauern!

RA Thorsten Siefarth - LogoWird erstmals eine Pflegestufe beantragt, dann muss die Kasse grundsätzlich innerhalb von 25 Tagen darüber entscheiden. Ab dem 1. November entfällt diese Frist (§ 18 Abs. 2b SGB XI, § 142 Abs. 2 SGB XI). Die Begründung des Gesetzgebers: Weil mit der Umstellung auf das neue System (ab 1. Januar 2017) mit einem erhöhten Antragsaufkommen gerechnet wird. Allerdings gilt die Frist gilt auch weiterhin, wenn ein „besonders dringlicher Entscheidungsbedarf“ besteht. Doch welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein? Mehr lesen