Schließt früheres Fehlverhalten Angehörige als Betreuer aus?

Wenn ein geliebter Mensch aufgrund von Krankheit oder Alter seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann, ist es oft der Wunsch von Familienangehörigen, die rechtliche Betreuung zu übernehmen. Doch was passiert, wenn es in der Vergangenheit zu Konflikten gekommen ist? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt eine wegweisende Entscheidung getroffen.

Familie hat Vorrang

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) ist eindeutig: Schlägt der Betroffene selbst niemanden vor, haben bei der Auswahl des Betreuers familiäre Beziehungen Vorrang. Ein Berufsbetreuer kommt zunächst nicht in Betracht. Dieser gesetzliche Vorrang dient dem Schutz der Familie. Ein zur Betreuung bereiter naher Angehöriger darf grundsätzlich nicht zugunsten eines familienfremden Betreuers übergangen werden.

Dies wäre nur möglich, wenn er als „ungeeignet“ angesehen würde. Doch wer gilt als „ungeeignet“? Das sind Personen, die nicht willens oder in der Lage sind, die Betreuung zum Wohl des Betreuten zu führen. Insbesondere, wenn sie keinen ausreichenden persönlichen Kontakt halten können und wenig Verständnis für den Betroffenen aufbringen. Schwerwiegende Interessenkonflikte oder begründete Missbrauchsbefürchtungen können ebenfalls zur Ungeeignetheit führen.

Der Knackpunkt in dem vom BGH entschiedenen Fall war nun: Darf früheres Verhalten die Tür zur Betreuung verschließen?

Der Fall

Der Sohn wollte die Betreuung seiner Mutter übernehmen. Die zuständigen Gerichte lehnten dies jedoch ab und bestellten stattdessen einen Berufsbetreuer. Die Begründung stützte sich im Wesentlichen auf Vorkommnisse in der Vergangenheit: nächtliche Besuche in der Pflegeeinrichtung oder ein als übergriffig empfundenes Verhalten im Beisein einer Verfahrenspflegerin. Zudem habe der Sohn sogar das Bett mit seiner Mutter geteilt. Der Erklärung des Sohnes, sein Verhalten habe sich geändert, schenkte das Landgericht jedoch keinen Glauben. Für die Gerichte schien die Vergangenheit entscheidend zu sein

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Sohn kämpfte weiter und legte Rechtsbeschwerde beim BGH ein. Mit Erfolg! Der BGH hob die Entscheidung des Landgerichts auf und verwies den Fall zurück. Der Fehler lag eindeutig darin, dass sich das Landgericht zu sehr auf die Vergangenheit fixiert und entscheidende aktuelle Informationen außer Acht gelassen hatte.

Der BGH stellte klar: Die Eignungsprüfung ist eine Prognose. Das Verhalten in der Vergangenheit ist nur ein Indiz und muss im Lichte der aktuellen Verhältnisse bewertet werden. Gerichte dürfen sich nicht auf veraltete Momentaufnahmen stützen.

Das Landgericht habe eine aktuelle Stellungnahme der Pflegeeinrichtung nicht ausreichend berücksichtigt. Diese zeichnete ein ganz anderes Bild des Sohnes: Er habe sich angepasst, Vertrauen gefasst und kümmere sich inzwischen fürsorglich und vorbildlich um seine Mutter und entlaste das Pflegepersonal. Dies deutete stark auf eine positive Entwicklung und Verhaltensänderung hin.

Das bedeutet für Sie

Der Beschluss ermutigt Angehörige, die Verantwortung übernehmen möchten. Entscheidend sind die aktuelle Beziehung zum Betroffenen und die Bereitschaft zum Engagement.

Der BGH bekräftigt den klaren Vorrang der Angehörigen bei der Betreuerauswahl. Er stellt sicher, dass die Eignungsprüfung eine faire, umfassende und vor allem zukunftsorientierte Bewertung ist. Vergangenes Verhalten darf nicht vorschnell zu einer Ablehnung führen, wenn aktuelle positive Entwicklungen vorliegen.

Die Gerichte müssen dies nun noch sorgfältiger und umfassender prüfen. Die Ablehnung eines willigen Angehörigen ist und bleibt die Ausnahme und bedarf einer stichhaltigen Begründung, die auf einer fundierten negativen Prognose beruhen muss.

Gerne bin ich Ihnen beim Umgang mit den Betreuungsgerichten behilflich. Dazu kann schon eine Erstberatung ausreichend sein.

Thorsten Siefarth

Zum Nachlesen: Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. März 2025, Az.: XII ZB 260/24 (hier im Volltext zu lesen)

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