Leistungskürzungen wegen Pflegebetrugs – Landessozialgericht bremst Sozialämter

RA Thorsten Siefarth - LogoDas Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat im Dezember 2016 und Januar 2017 in einer Reihe von Fällen Entscheidungen des Berliner Sozialgerichts geändert. Dabei hat es Berliner Sozialämter in dem Versuch gebremst, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von Pflegebedürftigen wegen des Vorwurfs der Beteiligung an einem Betrug zulasten der Sozialämter zu kürzen.



Pflegebedürftige erhalten Kickback-Zahlungen

Seit einigen Jahren laufen in Deutschland umfangreiche strafrechtliche Ermittlungen gegen betrügerische Pflegedienste. Deren Geschäftsmodell besteht darin, zu Lasten der Sozialleistungsträger Pflegeleistungen abzurechnen, die tatsächlich gar nicht erbracht wurden. Als Komplizen der Pflegedienste wirken neben Ärzten vor allem auch Patienten mit, indem sie den Erhalt gar nicht erbrachter Pflegeleistungen quittieren und so deren Abrechnung ermöglichen. Zur Belohnung erhalten sie monatlich einen Anteil am Betrugserlös, der im Milieu als „Kickback-Zahlung“ bezeichnet wird.

Zahlreiche Bewilligungen von Sozialhilfe wurden aufgehoben

Zahlreiche der Pflegebedürftigen erhielten nicht nur Sozialleistungen für die Pflege, sondern auch Sozialhilfe für den täglichen Lebensunterhalt. Sozialhilfe wird aber grundsätzlich nur bei Bedürftigkeit gewährt, also wenn kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen vorhanden ist. Wenn Pflegebedürftige in den Kassenbüchern des Pflegedienstes genannt waren, wurde die Bewilligung der Sozialhilfe in vielen Fällen aufgehoben. Begründung: Die sogenannten Kickback-Zahlungen sind Einkommen (§ 82 SGB XII) und verringern den Anspruch auf Sozialhilfe. Außerdem wurden Erstattungsforderungen gegen die pflegebedürftigen Sozialhilfeempfänger festgesetzt, oft im fünfstelligen Bereich.

Rechtsmittel erfolgreich

Die hiergegen seitens der betroffenen Sozialleistungsempfänger angestrengten sozialgerichtlichen Eilverfahren hatten in erster Instanz überwiegend keinen Erfolg. Wohl aber die Beschwerden der Betroffenen. Bei dem Landessozialgericht haben zwei Senate übereinstimmend entschieden, dass die Sozialämter die „sofortige Vollziehung“ ihrer Bescheide nicht anordnen durften. Unterschiede gab es nur in der Begründung.

Kickback-Zahlungen sind kein „Einkommen“

Der 23. Senat hat offengelassen, ob der Erhalt von Kick-Back-Zahlungen erwiesen sei und entschieden (z.B. Beschluss vom 9. Januar 2017, L 23 SO 327/16 B ER, rechtskräftig), dass Kickback-Zahlungen als Gewinne aus begangenen Straftaten kein „Einkommen“ im Sinne des Sozialhilferechts darstellten. Ein solcher Zufluss an Geld stamme aus einem gemeinschaftlich begangenen Betrug und sei von vornherein mit einer Rückzahlungspflicht belastet. Eine Behörde könne nicht verlangen, Einkünfte aus strafbaren Handlungen zum Bestreiten des Lebensunterhalts einzusetzen, um so den Anspruch auf staatliche Sozialleistungen zu mindern.

Nicht bewiesen

Der 15. Senat hat die Rechtsfrage, ob Kick-Back-Zahlungen Einkommen im Rechtssinne seien, ausdrücklich offengelassen (Beschluss vom 21. Dezember 2016, L 15 SO 301/16 B ER, rechtskräftig). Allerdings sei der Erhalt von Kickback-Zahlungen nicht hinreichend belegt, denn hierfür spreche einzig ein Eintrag in einem Kassenbuch des Pflegedienstes. Umgekehrt sei z.B. nicht erwiesen, dass die Antragstellerin Pflegeleistungen in einem geringeren als mit der Pflegekasse abgerechneten Umfange erhalten habe.

Hauptsacheverfahren steht noch aus

Damit ist der Versuch der Sozialämter zunächst gescheitert, auf den angenommenen Pflegebetrug sofort mit der Rückabwicklung von Sozialhilfeleistungen zu reagieren. Weil es sich bei der dargestellten Rechtsprechung um Entscheidungen im Eilrechtsschutz handelt, ist eine abschließende Klärung der aufgeworfenen Rechtsfragen erst in den Hauptsacheverfahren zu erwarten.

Quelle: Pressemitteilung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 2.2.2017

 

 

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