Patient zu lange am Leben erhalten: Arzt muss Schmerzensgeld zahlen

RA Thorsten Siefarth - LogoDem Sohn als Alleinerben seines verstorbenen Vaters stehen Schmerzensgeldansprüche gegen den behandelnden Hausarzt zu. Dieser hatte nach dem gestrigen Urteil des Oberlandesgerichts München den Patienten zu lange am Leben erhalten. Und zwar mittels künstlicher Ernährung durch eine PEG-Sonde.



Schwer gelitten

Der klagende Sohn ist der Auffassung, die Sonderernährung, der er nie zugestimmt habe, sei spätestens ab Anfang 2010 medizinisch nicht mehr indiziert gewesen, vielmehr habe sie ausschließlich zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens seines Vaters ohne Aussicht auf Besserung des gesundheitlichen Zustands geführt. Sein Vater sei nur noch verkrampft im Pflegebett gelegen, habe schwer gelitten und am Leben nicht mehr teilgenommen.

Die künstliche Ernährung habe in diesem Zeitraum einen rechtswidrigen körperlichen Eingriff und damit einen Behandlungsfehler und eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts seines Vaters dargestellt.

In dubio pro vita

Der beklagte Hausarzt wies eine Pflichtverletzung zurück. Er habe in mehreren Gesprächen mit dem Betreuer des Patienten dessen Gesundheitszustand geschildert und auch die Frage einer Beendigung der Sondenernährung diskutiert. Der Betreuer habe ausdrücklich auch die Sondenernährung gewünscht. In jedem Fall fehle eine schuldhafte Verletzung von Pflichten aus dem Behandlungsvertrag. Es gelte weiterhin der Grundsatz, dass dem Schutz des Lebens Vorrang eingeräumt werden müsse, „in dubio pro vita“.

Pflicht zur besonders gründlichen Erörterung mit dem Betreuer

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Gegen die Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt.

Das Oberlandesgericht München erkannte auf eine Pflichtverletzung des Behandlungsvertrags. Als behandelnder Arzt eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten wäre er nämlich verpflichtet gewesen, die Fortsetzung der PEG-Sondenernährung im Stadium der finalen Demenz oder deren Beendigung mit Umstellung des Behandlungsziels auf rein palliative Versorgung besonders gründlich mit dem Betreuer zu erörtern. Eine derartige vertiefte war jedoch nicht erfolgt.

Das Gericht hat eine Verletzung der Pflicht des Arztes zur umfassenden Information des Betreuers (§ 1901 b Abs. 1 BGB) bejaht. Das bedeutet nicht, dass der beklagten Hausarzt verpflichtet gewesen wäre, die Behandlung abzubrechen, sondern, dass er dem Betreuer die Grundlage für dessen verantwortungsbewusste Entscheidung an die Hand geben hätte müssen.

Leben als Schaden

Nach Auffassung des Gerichts kann die aus der Pflichtverletzung resultierende Lebensverlängerung eines Patienten einen Schaden im Rechtssinn darstellen. Die Verletzung des Integritätsinteresses eines Patienten, dem über einen längeren Zeitraum ohne wirksame Einwilligung mittels einer Magensonde Nahrung und Flüssigkeit verabreicht wird, könne für sich betrachtet bereits ein Schmerzensgeld rechtfertigen; im konkreten Fall sei zu berücksichtigen, dass der Vater des Klägers über fast zwei Jahre hinweg an Dekubiti und anderen schweren Erkrankungen gelitten habe.

Kein Schadensersatz, aber Schmerzensgeld

Schadensersatzansprüche, die der Kläger wegen der Kosten der Heimunterbringung seines Vaters auch geltend gemacht hat, hat das Gericht nicht zusprechen können, weil der Kläger einen Vermögensschaden seines Vaters durch die künstliche Ernährung nicht ausreichend dargelegt hatte.

Der Anspruch auf Schmerzensgeld ist nach der Entscheidung des Senats uneingeschränkt vererblich, konnte also vom Kläger als Alleinerbe geltend gemacht werden.

Beide Parteien wollen in Revision gehen.

Referenz: Urteil des Oberlandesgerichts München vom 21.12.2017, Az. 1 U 454/17

Quelle: Pressemitteilung des Oberlandesgerichts München vom 21.12.2017

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