Ist die Pflege der Mutter „sozialwidriges Verhalten“?

Eine 38-jähige Frau kümmert sich um die schwerbehinderte und pflegebedürftige Mutter. Dennoch nimmt sie eine Vollzeitstelle auf und versucht, beides unter einen Hut zu bringen. Als die Mutter jedoch stürzt, erhöht sich der Pflegebedarf. Die Frau muss deswegen ihren Job kündigen und beantragt „Hartz IV“. Nach Ansicht des Jobcenters handelt es sich dabei um „sozialwidriges Verhalten“. Das Landessozialgericht musste deswegen über eine Rückforderung in Höhe von ca. 7100 Euro entscheiden.



Die Begründung des Jobcenters: Die Frau habe schon bei Abschluss des Arbeitsvertrags gewusst, dass sie im Schichtdienst arbeiten würde und dass ein Umzug nicht möglich sei. Die Mutter habe die Pflegestufe II und die Tochter müsse nicht selbst die Pflege übernehmen. Dies könne auch durch einen Pflegedienst geschehen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei dafür nicht notwendig. Dieses Verhalten sei zumindest grob fahrlässig.

Grundsätzlich sind Arbeit und Pflege zumutbar

Das Landessozialgericht Niedersachsen hat sich der Rechtsauffassung des Jobcenters jedoch nicht angeschlossen und ein sozialwidriges Verhalten verneint. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls.

Grundsätzlich sei zwar jede Arbeit zumutbar, wenn die Pflege von Angehörigen anderweitig sichergestellt werden könne. Selbst bei Pflegestufe II seien Arbeitszeiten von bis zu 6 Stunden pro Tag zumutbar.

Pflege und Schichtarbeit sind schwierig

Dies sei im Falle der Klägerin jedoch nicht möglich. Sie habe im Schichtsystem auf Abruf mit variablen Zeiten gearbeitet. Die Einsatzzeiten seien erst vier Tage vor dem Einsatz mitgeteilt worden. Die dreimal täglich anfallende Pflege sei damit nicht zu vereinbaren. Das Gericht hat auch das Selbstbestimmungsrecht der Mutter berücksichtigt, die einen Pflegedienst ablehnte und nur ihre Tochter akzeptierte.

Dass die Klägerin dies alles vorher gewusst habe, ließ das Gericht nicht durchgehen. Es gelte ein objektiver Maßstab. Angesichts der Erwerbsobliegenheit dürfe ein Leistungsempfänger die Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege austesten, ohne sich im Falle des Scheiterns einem Ersatzanspruch auszusetzen.

Referenz: Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 12.12.2018, Az. L 13 AS 162/17

Quelle: Pressemitteilung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 14.1.2019

Ein Gedanke zu „Ist die Pflege der Mutter „sozialwidriges Verhalten“?

  • 18. Januar 2019 um 11:10 Uhr
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    Mich wundert es, dass so etwas überhaupt geschieht und dann noch ein Gericht bemüht werden muß. Wenn sich jemand um Arbeit bemüht, diese annimmt und ausübt und erst dann kündigt, wenn persönliche Umstände dies erfordern, dann ist es ignorant und arrogant, wenn sich ein Amt darüber hinweg setzt.

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